Heiße Luft gegen Impfprämie
Der Vorschlag für eine Impfprämie hat von einigen Seiten Gegenwind erhalten. Was ist dran an der Kritik?
Die Pandemie gerät wieder außer Kontrolle. Wir durchleben eine Neuauflage des Winters 2020, vielleicht noch schlimmer. Die Regierungen hatten ein Jahr Zeit, die Pandemie in den Griff zu bekommen und einen erneuten Winter-Lockdown zu vermeiden. Das ist schief gegangen. An vielen Ecken hapert es - von der Impfkampagne bis zur Impflogistik. Im Sommer dieses Jahres lag ein Vorschlag auf dem Tisch, der uns die Katastrophe in diesem Ausmaß hätte ersparen können. Die Rede ist von der Impfprämie. Vor Kurzem habe ich den Vorschlag in einem Video erneuert, auch der Linken-Abgeordnete Christian Görke hat sich dafür ausgesprochen und die Linksfraktion die Forderung in einem Antrag in den Bundestag eingebracht. Daraufhin haben Ökonomen und Politiker Stellung bezogen. Ich will auf einige vorgebrachte Kritiken eingehen.
Zur Erklärung vorab, der Vorschlag lautete: 300 € Impfprämie für alle, die bereits geimpft sind oder sich bis Jahresende den ersten vollen Impfschutz verpassen lassen und noch mal 200 € Prämie für alle, die sich in angemessenem Abstand boostern lassen. Bei 75 Millionen geimpften Menschen wäre eine Impfquote von 90 % erreicht. Bei Erreichen hieße das: 37,5 Mrd. € an Prämie, die in diesem und im nächsten Jahr ausgeschüttet würde.
Nun zu den Kritiken. Fangen wir mit der CDU an. T-Online gibt die CDU-Kritik so wieder:
"Dass der Staat Prämien bezahlen soll für den persönlichen Gesundheitsschutz, das halte ich für einen Dammbruch", sagte der CDU-Gesundheitspolitiker Michael Hennrich t-online. Er betrachte die 2G-Regel als ausreichenden Anreiz, sich impfen zu lassen.
In anderen Bereichen wird bereits prämiert. Etliche Krankenkassen haben Prämiensystem für Gesundheitsvorsorge oder gesunde Lebensweisen. 2G heißt Lockdown für Ungeimpfte und ist ein negativer Anreiz. Verunsicherten Menschen, die eben keine harten Impfgegner sind, vermittelt man kein Vertrauen, indem man sie gesellschaftlich ausschließt. Bisher sind negative Anreize, wie etwa kostenpflichtige Tests, gefloppt. Je stärker man an dieser Schraube dreht, desto größer die gesellschaftlichen Nebenwirkungen. Eine Impfprämie wäre das Gegenmodell: ein positiver Anreiz. Weiter:
Fraktionsvize Stephan Stracke wies darauf hin, dass jeder Unentschlossene die Gelegenheit habe, "sich sofort impfen zu lassen". Eine Impfprämie sei deswegen "kein vorrangiges Thema".
Das ist kein Argument. Wenn die bloße Impfmöglichkeit ausreichend wäre, hätten wir das Problem mit der zu geringen Impfquote ja gar nicht.
Nun zur SPD, die im selben T-Online-Text zitiert wird:
"Es widerstrebt mir aufs Äußerste, dass ich jemanden bezahlen soll, damit er sich impfen lässt", erklärte SPD-Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar. Schließlich schütze man mit der Impfung sich selbst und die Gemeinschaft. Unabsehbar seien die Folgen einer solchen Maßnahme für andere Impfkampagnen wie Grippe oder Pneumokokken.
Die eingangs erwähnte Verhaltensökonomin Szech hat in einer Studie eine starke Anreizwirkung von Geldprämien ab 100 € nachgewiesen. Ob es Frau Dittmar moralisch widerstrebt oder nicht, sollte nicht maßgeblich dafür sein, was politisch wirkt und hilft. Der gesundheitliche Nutzen und die Notwendigkeit der Impfung scheinen gerade bei den Abgehängten unserer Gesellschaft, den Bildungsfernen, den Geringverdienern, denen mit Sprachbarrieren noch nicht überzeugend durchgedrungen zu sein. Diese gesellschaftliche Gruppe hat eine geringer Impfquote als die Privilegierten. Die Impfkampagne der Regierung hat diese Leute nicht erreicht. Kein Wunder, denn viele dieser Leute werden die Politik kaum verfolgen und haben ohnehin nur geringes Vertrauen in den Staat. Eine Prämie, die sich lohnt, könnte für Viele ein Grund sein, sich doch damit auseinanderzusetzen. Andere Impfkampagnen, etwa die Grippeschutzimpfung, sind nicht mit der Corona-Pandemie und der aktuellen Notlage vergleichbar. Außerdem werden ja alle Geimpften auch rückwirkend belohnt. Es gibt keinen Anreiz, die eigene Impfung bei der nächsten Impfkampagne hinauszuzögern. Daher halte ich das Argument für falsch.
Die brandenburgische SPD-Finanzministerin Katrin Lange erklärte bei der MAZ, dass die mangelnde Impfbereitschaft gar nicht das Problem sei. Sie ergänzte:
„In Teilen des Landes müssen Bürger wochenlang auf einen Impftermin bei ihrem Hausarzt warten, woanders stehen die Menschen vor den wenigen mobilen Impfstationen stundenlang Schlange. (...) Die Bemühungen müssen daher gezielt darauf gerichtet sein, möglichst schnell wieder möglichst viele Impfkapazitäten im Land aufzubauen anstatt mit der Gießkanne sinnlos Geld auszuschütten.”
Die mangelnde Impfbereitschaft als Problem zu bezeichnen, ist schon schräg. Warum appellieren dann alle Politiker an die Leute, sie mögen sich bloß impfen lassen, statt an Jens Spahn und Co., sie mögen die Impfzentren wieder öffnen, für genug Impfstoff sorgen und die Kapazitäten hochfahren? Zudem: Lange sitzt selber in der Regierung in Brandenburg. Dass es nicht genug mobile Impfteams gibt, hat sie mit zu verantworten. Sie lehnt die Prämie also ab, weil ihr eigenes Scheitern das gerade größere Problem sei? Kreative Argumentation. Impfkapazitäten zu erhöhen ist richtig und wichtig. Die Impfzentren abzubauen war ein Fehler. Aber die mangelnde Kapazität ist kein Argument dafür, die Bereitschaft mit Anreizen anzukurbeln. Die Prämie als sinnloses Geldausschütten zu bezeichnen, finde ich ebenfalls falsch. Der Sinn ist offensichtlich. Außerdem hatten die Menschen Mehrkosten und Lasten durch die Pandemie, die mit der Prämie zumindest teilweise ausgeglichen würden. Wenn man schon sparen will, dann doch bitte nicht hier!
Im genannten T-Online-Text geht es dann mit der FDP weiter:
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