Doch, es gibt einen "free Lunch"
Wie eine alte Redewendung liberale Ökonomen in die Irre führt
Jeder kennt die Volksbinse: »Nichts im Leben ist umsonst«. In den USA gibt es dafür die Redewendung: »There ain’t no such thing as a free lunch«. Zurück geht sie auf kostenlose Mittagessen, die im 19. Jahrhundert in den Saloons Chicagos ausgegeben wurden. Damit lockten die Wirte Kunden mit der Hoffnung in den Laden, dass sie für Drinks mehr Geld liegen lassen.
Heute nutzen Wirtschaftsliberale und Bitcoin-Fans den Spruch. Zuletzt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, als sie meinen Vorschlag zu einem subventionierten Strompreis für die Industrie kritisierte. Mein Argument, niemand anderes müsste mehr für Strom oder Steuern bezahlen, wenn der Staat die Subvention an der Schuldenbremse vorbeimogelte, konterte sie mit dem Satz »There is no free lunch«. Ihre Kritik: am Ende müssten eben die künftigen Steuerzahler blechen, umsonst wäre das also nicht. Bitcoiner und andere Liberale applaudierten.
Zurück geht der Satz auf den Urvater des Neoliberalismus, Milton Friedman, der sogar eines seiner Bücher danach benannte – und später ausgerechnet in Chicago lehrte und seine Denkschule prägte. Richtiger macht es den Satz aber nicht. Den Liberalen unterläuft ein schwerwiegender Denkfehler.
Geld aus dem Nichts ermöglicht den free Lunch
Der Denkfehler hat zwei Ebenen.
Die erste liegt im Geldsystem. Weil Liberale die Augen davor verschließen, dass Geld auf Knopfdruck entsteht, wenn ein Staat Ausgaben tätigt oder eine Bank einen Kredit vergibt, behandeln sie Geld als knappe Ressource. Der Staat habe eben nur das Geld seiner Steuerzahler und Banken nur die Einlagen ihrer Kunden. Geld ist in deren Logik ein Nullsummenspiel, man kann es niemandem geben, ohne es wem anders (jetzt oder in Zukunft) zu nehmen.
Ja, wir leben in einer Welt begrenzter Ressourcen; aber Geld, immerhin eine menschliche Erfindung, ist keine davon. Arbeitskraft, fossile Energie, seltene Erden, Land, Rohstoffen: all das ist knapp und kann uns ausgehen. Geld aber nicht. Geld entsteht als Buchhaltungskonstrukt, auf Knopfruck oder Mausklick, und kann logischerweise niemals knapp werden.
Wenn Bäcker Lutze bei der Bank einen Kredit aufnimmt, um eine Bäckerei zu eröffnen, und es genug Lokale, Arbeitskräfte, Materialien und so weiter gibt, dann entsteht durch das neue Geld eine Bäckerei, die es vorher nicht gab. Der Wirtschaft geht es dadurch besser, weil mehr und vielleicht auch bessere Brötchen produziert werden. Geld setzt Ressourcen in Bewegung und schafft damit Wohlstand.
Anderes Beispiel: Der Staat stellt einen vormals arbeitslosen Lehrer an einer Schule ein. Weder fehlt das Geld woanders noch gibt es Opportunitätskosten, denn vorher war der Lehrer ja arbeitslos. Im Gegenteil: Vorher hab es große Opportunitätskosten, weil der Lehrer zwar hätte arbeiten und Schüler unterrichten können, dafür aber keinen Job hatte. Darüber wird ohnehin zu selten gesprochen, über die Kosten von Arbeitslosigkeit, sprich: die Verschwendung von Talent und Arbeitskraft.
Bedeutet: Wenn neues Geld dafür sorgt, dass vorher nicht genutzte Ressourcen genutzt werden, dann ist das ein »free Lunch«; alle haben dadurch mehr, keiner weniger.
Der Markt regelt? Von wegen!
Die zweite Ebene liegt in einem naiven Verständnis der Marktwirtschaft. Liberale gehen einfach davon aus, dass freie Märkte immer von alleine für Vollbeschäftigung sorgen, zumindest langfristig. Die liberale Welt ist deshalb nicht nur eine mit begrenzten Ressourcen; sondern eine, in der diese begrenzten Ressourcen auch immer voll ausgelastet sind.
Am Beispiel der Arbeitslosigkeit wird das schnell deutlich. In der idealtypischen Vorstellung würde Arbeitslosigkeit in einem freien Markt nie existieren, weil bei ihrem Auftreten der Preis von Arbeit so weit sänke, dass es sich für Arbeitgeber wieder lohnt, einzustellen. Arbeitslosigkeit kann also in dieser Gedankenwelt nur zeitweise auftreten, der Markt findet immer wieder in sein Gleichgewicht. Außer natürlich, wenn der (böse) Staat mit Mindestlohngesetzen dafür sorgt, dass sich der Preis von Arbeit nicht frei am Markt bilden kann und deshalb so verzerrt wird, dass ein Marktgleichgewicht bei Vollbeschäftigung nicht mehr existiert. Solange sich Preise an freien Märkten nach Angebot und Nachfrage richten, kann es Unterauslastung oder Arbeitslosigkeit nicht geben. Manche Liberale gehen sogar so weit, dass bestehende Arbeitslosigkeit als freiwillige Entscheidung für Freizeit verklärt wird, wenn Personen für Minilöhne nicht arbeiten wollen.
Jetzt will ich an der Stelle nicht widerlegen, warum diese Vorstellung vom Arbeitsmarkt falsch ist; sondern nur erklären, warum Liberale auf den Gedanken kommen, dass permanente Vollauslastung aller begrenzten Ressourcen herrscht. In dieser naiven Welt stimmt es, dass neues Geld nur dafür sorgt, dass Ressourcen woanders weggenommen werden, sprich: keiner kann mehr haben, ohne dass wer anderes weniger hat.
Ein Blick auf die faktischen Arbeitslosenzahlen (rund 5 Millionen, inklusive Unterbeschäftigung und unfreiwillige Teilzeit) aber reicht, um zu erkennen, dass die Prämisse permanenter Vollauslastung falsch, weil realitätsfern ist. Genauso wie die Prämisse, Geld sei eine begrenzte Ressource, die jede Bank und Zentralbank dieser Welt widerlegen würde.
Wirft man beide Prämissen über Bord, erkennt man schnell, dass es in einer modernen Volkswirtschaft doch einen »free Lunch« geben kann. Und Liberale einfach falschliegen.
Respekt Maurice, schnelle Gegenreaktion auf Grimms Märchenstunde (den Kalauer konnte ich mir nicht verkneifen) 😅
Wie immer super Maurice!