4 Kniffe für mehr Geld trotz Schuldenbremse
So kann die Ampel ihr Geldproblem lösen, ohne zu kürzen oder die Schuldenbremse zu verletzen.
In der Ampel knirscht es gewaltig. Christian Lindner will unbedingt die Schuldenbremse einhalten, aber fast alle anderen Minister wollen mehr Geld. Habeck für einen Industriestrompreis, Paus für die Kindergrundsicherung, Lauterbach für die Krankenkasse, Pistorius für die Bundeswehr.
Hoffnung hatten die Minister in die neue Steuerschätzung gesteckt, deshalb sogar die Verhandlungen mit Lindner aufgeschoben. Doch die Steuer-Experten hatte letzte Woche keine guten Nachrichten für die Ampel. Im Gegensatz zur Schätzung im Oktober sind die prognostizierten Einnahmen um 30 Milliarden Euro gesunken, in etwa die Summe, für die Lindner die Einkommensteuer gesenkt hatte. Unter der Schuldenbremse gibt es also nächstes Jahr nicht mehr zu verteilen.
Eigentlich hätte es auch für den Haushalt dieses Jahr knirschen müssen, Lindner aber hat schon einen großen Kniff aufgebraucht, nämlich 40 Milliarden aus einer Haushaltsrücklage für Flüchtlingskosten geplündert, die Wolfgang Schäuble mal eingerichtet hatte. Diese 40 Milliarden gingen an der Schuldenbremse vorbei und haben so Verhandlungen für den 2023er-Haushalt erleichtert.
Für 2024 braucht es neue Kniffe, solange die Schuldenbremse heilig und Steuererhöhungen tabu sind. Ich habe vier Vorschläge für die Ampel.
#1: Gelder aus dem WSF umwidmen
Dank sinkender Preise werden die Strom- und Gaspreisbremse aus dem Doppelwumms für die Ampel günstiger als gedacht. Die gesparten rund 50 Milliarden liegen im Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) und könnten für andere Zwecke genutzt werden. Die Gelder im aus dem WSF fallen nicht unter die Schuldenbremse, weil der WSF 2022 gefüllt wurde, als die Schuldenbremse für Ausgaben im Zusammenhang mit den Kriegskosten ausgesetzt wurde, die sogenannte Notfallklausel.
Die Umwidmung der Milliarden aus dem Doppelwumms hat den Vorteil, dass das Geld nicht unter den normalen Haushalt und die Schuldenbremse fällt. Gestrichen werden muss dafür woanders also nicht. So weit, so gut. Einzige Krux: Lindner hält die Umwidmung rechtlich nicht für möglich.
Dabei hat die Ampel genau das 2021 schon mal ganz selbstbewusst mit Corona-Geldern für den Klimafonds gemacht. Die Argumentation damals: Weil wegen Corona Investitionen ausgeblieben sind, holt der Staat die in den kommenden Haushalten nach – und zwar gleich zukunftsorientiert im Bereich Klimaschutz. Diese Brücke, von Corona zum Klima, war rechtlich auf viel schmaleren Säulen gebaut als die Brücke für den Industriestrompreis. Denn schon heute gehört eine Strompreisbremse für Firmen zum Doppelwumms und WSF. Man müsste also lediglich die Preisbremse für die Industrie unter anderen Zulassungsbedingungen bis 2030 verlängern. Das lässt sich rechtlich viel einfacher begründen als die besagten Corona-Gelder für Klimainvestitionen. Habeck sollte nicht vor Lindner einknicken und Kanzler Scholz sich klar zum Vizekanzler positionieren; immerhin hat er 2021 noch selbst Wahlkampf gemacht mit einem Industriestrompreis von vier Cent (Habeck hingegen will sechs Cent) .
#2 Zinskosten anders verbuchen
Lindner zieht mit der Hiobsbotschaft durchs Lande, dass die Zinskosten für den Bundeshaushalt von vier Milliarden in 2021 auf 40 Milliarden in 2023 gestiegen sind und erntet in Talkshows damit die Empörung, die er will. Klar, unter der Schuldenbremse heißt jede Milliarde mehr für Zinsen, eine weniger für andere Ausgaben. Mit der Botschaft kann Lindner seine Kürzungen also einfach legitimieren.
Aber es gibt einen Haken: Die 40 Milliarden sind künstlich hochgerechnet. Das liegt an einer wenig bekannten Buchungsregel, nach der Gewinne oder Verluste, die dem Bund beim Verkauf von Staatsanleihen entstehen, komplett als Kosten in dem Jahr verbucht werden, in dem sie verkauft werden – und nicht wie Zinskosten, die über die Laufzeit der Anleihen gestreckt werden.
Die Verluste entstehen, weil Lindner trotz hoher Leitzinsen noch Anleihen ohne Zinskupon verkauft. Die Banken kaufen derzeit 100-Euro-Anleihen mit 30 Jahren Laufzeit ohne Zinskupon aber nur für 50 Euro, weil es sich sonst nicht rentiert. Statt die Anleihe mit großem Preisabschlag zu kaufen und in 30 Jahren für den Ausgabewert von 100 Euro wieder zu verkaufen, könnten sie ihr Geld ja auch einfach ohne Risiko bei der Zentralbank liegen lassen und jedes Jahr 3,25 Prozent Einlagezins kassieren.
Würde Lindner die Anleihen mit höherem Zins verkaufen, würden die Auktionsverluste nicht entstehen. Mindestens aber sollten die Verluste über die Laufzeit der Anleihen gestreckt werden. Damit würde die Zinslast dieses Jahr um 12 Milliarden geringer ausfallen. So viel braucht Familienministerin Paus für die Kindergrundsicherung. Warum spricht Paus als ehemalige Finanzpolitikerin nicht darüber?
Wer eine längere Erklärung für die Zins-Lüge wünscht, wird hier fündig.
#3 Prinzip Aktienrente
Die zehn Milliarden, mit denen Lindner für den Bund Aktien kauft (bzw. über einen Fonds kaufen lässt), laufen an der Schuldenbremse vorbei. Die Milliarden werden nämlich nicht ausgegeben, sondern angelegt. Was nach Wortklauberei klingt, hat große Auswirkungen. Denn damit gelten die Milliarden als »finanzielle Transaktion«. Und finanzielle Transaktionen unterliegen nicht der Schuldenbremse, schränken also den Haushalt nicht ein. Zehn Milliarden für die Aktienrente hießen nicht zehn Milliarden weniger für anderes.
Nach dem gleichen Prinzip könnte die Bundesregierung auch Eigenkapital bei der Bahn oder der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zuschießen, um in Schienen, Sozialwohnungen oder energetische Sanierung der öffentlichen Gebäude zu investieren. Oder eine öffentliche Infrastrukturgesellschaft gründen, an der sich der Bund mit Eigenkapital beteiligt.
An Investitionen lässt sich so fast alles an der Schuldenbremse vorbeimanövrieren, Sozialausgaben wie für die Kindergrundsicherung oder die Krankenkasse aber nicht. Für Paus ist das also weniger interessant als für Bauministerin Geywitz und Wirtschaftsminister Habeck. Die beiden sollten deshalb mit Lindner einen Deal machen. 20 Milliarden mehr für die Aktienrente geben, dafür jeweils zehn Milliarden für Bau und Klima nehmen. Besondere Zeiten erfordern besondere Kreativität.
#4 Konjunkturkomponente anders berechnen
Die Konjunkturkomponente ist Teil der Schuldenbremse. Die Idee dahinter: Der Staat darf weniger Schulden machen, wenn die Wirtschaft voll ausgelastet ist und zu überhitzen droht; und mehr Schulden, wenn die Wirtschaft schlecht läuft. Ergibt grundsätzlich Sinn, nur die konkrete Berechnung dahinter leider nicht.
Wie die Grafik unten zeigt, berechnet sich die Konjunkturkomponente maßgeblich aus dem Unterschied zwischen dem sogenannten Produktionspotenzial – das ist, was die deutsche Volkswirtschaft in einem Jahr Vollauslastung maximal produzieren könnte – und dem erwarteten Bruttoinlandsprodukt. Die Differenz ergibt die Produktionslücke, die mit einem festen Faktor, der sogenannten Budgetsemielastizität (schreckliches Wort), multipliziert wird und dann die Konjunkturkomponente ergibt.
Wenn das Produktionspotenzial kleiner als das erwartete Bruttoinlandsprodukt ist, wird die Konjunkturkomponente positiv und verringert die zulässige Neuverschuldung der Schuldenbremse. Genau das war 2022 für 2023 der Fall. Die zulässige Neuverschuldung wurde um ganze 5,3 Milliarden Euro reduziert. Nach der Berechnungsmethode von 2022 befindet sich Deutschland heute also in der Vollbeschäftigung. Mit der Realität hat das nichts zu tun. Die Wirtschaft stagniert, die energieintensive Industrie produziert 20 Prozent weniger als vor einem Jahr, der Einzelhandel hat inflationsbereinigt acht Prozent weniger umgesetzt und 2,6 Millionen Menschen sind offiziell arbeitslos, tatsächlich sogar noch rund eine Million mehr. Von Vollbeschäftigung keine Spur.
Woher kommt der Fehler? Hier steckt der Teufel im Detail. Die Schätzung des Produktionspotenzials ist zu konservativ, weil sie vor allem darauf beruht, wie das Bruttoinlandsprodukt in den letzten Jahren war. Niedriges Wachstum in der Vergangenheit heißt niedriges Produktionspotenzial in der Zukunft. Besser wäre es, das Potenzial stärker an der Auslastung der Industrie und der Höhe der Arbeitslosigkeit auszurichten. Ginge man danach, fielen Produktionslücke und Konjunkturkomponente größer aus und erlaubt mehr Schulden.
Besonders problematisch: Das konservative Verfahren wird auch für die europäischen Schuldenregeln angewendet und hat dazu geführt, dass für Griechenland und Italien nach Jahren der Krise und trotz zweistelliger Arbeitslosenquoten Vollbeschäftigung nach dieser Berechnungsmethode festgestellt wurde. Die Folge: Die Finanzminister durften weniger Geld ausgeben, die Wirtschaft lief mies, Menschen blieben arbeitslos. Eine nerdige, technokratische Regel hat leider große Auswirkungen.
Immerhin: Die Ampel hatte sich im Koalitionsvertrag sogar noch darauf geeinigt, die Berechnungsweise der Konjunkturkomponente zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen. Das wäre dringend nötig, um auch unter der Schuldenbremse noch ein paar Milliarden mehr locker zu machen. Im Gegensatz zu anderen Änderungen an der Schuldenbremse kann die Ampel die Komponente mit einfacher Mehrheit durchziehen. Worauf warten?
Alle vier Kniffe helfen, um Kürzungen zu vermeiden. Und Kürzungen sind das letzte, was die angeschlagene deutsche Wirtschaft jetzt braucht!
Es wird aber alles nichts bringen. Lindner möchte niemandem Geld geben und die Schuldenbremse ist nur das Vehikel um dies zu verkaufen, ohne dass er sich angreifbar macht.
Die Grünen könnten Druck ausüben und notfalls die Koalition platzen lassen. Doch ihnen geht es, s. Lützerath oder Sektorenziele im Klomaschutz, vor allem um Macht und kuschen lieber. Mit dem Heizungsgesetz und der geschickten Propaganda der FDP dagegen, haben sie sich nun noch mehr ausmanövriert; selbst Grünen-Sympathisanten machen gegen sie Sturm. Und so werden sie sich nicht durchsetzen.
Und die SPD? Der Kanzler will nur Ruhe und wenn es den Grünen schlecht geht, ist das in seinem Sinn. Lauterbach, der ordentlich Geld ins System pumpen müsste, hat schon beim Entwurf aufgegeben und direkt gesagt, dass es eine Reform ohne mehr Geld sein wird.
Und so wird Deutschland langsam aber stetig immer weiter abgehängt.
Das Problem bei der Aktienrente ist, dass die von dir genannten Bereiche sich extrem schlecht bzw auch gar nicht monetär amortisieren. Die erhöhen zwar das Gemeinwohl sehr deutlich, werfen aber spärlichen Cash ab.